DER FILM

Das Cabinet des Dr. Caligari

"Das Cabi­net des Dr.Caligari" gehört zu den ganz gro­ßen Klas­si­kern der Kine­ma­to­gra­fie. 1920 in den Ate­liers der Decla in Weis­sen­see von Robert Wiene gedreht, wurde er nach sei­ner Pre­miere von der Presse als ers­tes deut­sches Film­kunst­werk über­haupt gefeiert.

Nach der Auf­füh­rung in New York, die ein Jahr spä­ter statt­fand, gelangte er zu Welt­ruhm. Der Ver­trag mit der Pro­duk­ti­ons­firma Decla- Bio­scop, der 1992 erst wie­der auf­ge­taucht ist, kann als "Geburts­ur­kunde" des deut­schen Films bezeich­net werden.

Die eigent­li­che Geschichte, nach dem Dreh­buch von Carl Mayer und Hans Jano­witz, han­delt von dem Schau­bu­den­be­sit­zer Dr. Cali­gari, der auf einem Jahr­markt den weis­sa­gen­den Schlaf­wand­ler Cesare ankün­digt. Auch die Freunde Franz und Alan wer­den von Cali­ga­ris Vor­füh­rung ange­zo­gen, und Cesare pro­phe­zeit Alan, dass er schon am sel­ben Abend nicht mehr leben werde. Und in der Tat wird Alan am Abend erdolcht auf­ge­fun­den. Kurz dar­auf ent­führt der Schlaf­wand­ler Jane, die Freun­din von Franz, lässt sie auf dem Weg fal­len und stirbt vor Über­an­stren­gung. Franz ver­folgt den flüch­ten­den Cali­gari in eine psych­ia­tri­sche Anstalt und ent­deckt, dass Cali­gari der Direk­tor ist. Anhand von Beweis­ma­te­rial wird deut­lich, dass er Cesare als Mord­in­stru­ment miss­braucht hat. Als Cali­gari erfährt, daß Cesare tot ist, gerät er aus­ser sich und wird in eine Zwangs­ja­cke gesteckt.

Um even­tu­el­len Schwie­rig­kei­ten aus dem Weg zu gehen, änderte Regis­seur Robert Wiene diese Fas­sung und setzte sie in eine Rah­men­hand­lung, in der Franz, der sich nun in einer psych­ia­tri­schen Anstalt auf­hält, einem Mit­pa­ti­en­ten die ganze Geschichte erzählt und sei­nen Psych­ia­ter in sei­nem Wahn für Cali­gari hält. Die­ser erkennt die Hal­lu­zi­na­tion sei­nes Pati­en­ten und ver­spricht, ihn zu heilen.

Ursprüng­lich ver­kör­perte der Typ des Cali­gari Macht­miss­brauch und Grö­ßen­wahn. In dem Schlaf­wand­ler sahen die Autoren die Ohn­macht der Bevöl­ke­rung, sich den Zwän­gen zu wider­set­zen. Durch die Rah­men­hand­lung, die gegen den Wil­len der Autoren ergänzt wurde, wird die Inten­tion, die Ver­nunft über die Gewalt sie­gen zu las­sen, umge­kehrt, die Auto­ri­tät glo­ri­fi­ziert und ihre Gegen­spie­ler für nicht zurech­nungs­fä­hig erklärt. Obwohl aus einem revo­lu­tio­nä­rem Film ein kon­for­mis­ti­scher wurde, erkann­ten den­noch viele sei­nen gesell­schafts­kri­ti­schen Anspruch. Er war ein hoch­wer­ti­ger Unter­hal­tungs­film, der zum »meist­dis­ku­tier­ten Film­werk sei­ner Zeit« avancierte.

Unter­stützt wird die Aus­sage des Films durch das Büh­nen­bild, das neben Herr­mann Warm, Wal­ter Röh­rig und Waler Rei­mann von dem Maler und Schrift­stel­ler Alfred Kubin ent­wor­fen wurde: Stür­zende Linien, ver­zerrte Kulis­sen­bau­ten und das Feh­len jeg­li­cher rech­ter Win­kel mach­ten »Cali­gari« zum exem­pla­rischs­ten expres­sio­nis­ti­schen Film.

Es war auch das erste Mal, dass ein psy­cho­lo­gi­sches Thema im Film mit Hilfe des Büh­nen­bilds aus­ge­drückt wurde, eine Idee, die seit­dem immer wie­der kopiert wurde. In Frank­reich ent­stand sogar eine neue Bezeich­nung für jene phan­tas­ti­sche, von der Illu­sion ver­zerrte Sicht­weise, die auf eine chao­ti­sche und unge­fes­tigte Nach­kriegs­ge­sell­schaft hin­weist: der Caligairismus.

Der Film­wis­sen­schaft­ler Sieg­fried Kra­cauer ver­fasste ein Buch mit dem Titel "Von Cali­gari zu Hit­ler", in dem auf den Kom­plex von Mani­pu­la­tion und Auto­ri­täts­gläu­big­keit hin­ge­wie­sen und auf die Geschichte des deut­schen Vol­kes bezo­gen wird. Diese Eck­punkte sind natür­lich auch heute noch aktu­ell, da die Ver­führ­bar­keit der Masse und das unre­flek­tierte Hin­neh­men von Vor­ga­ben zu jeder Zeit eine Gefahr darstellt.

Im neu eröff­ne­ten Film­mu­seum am Pots­da­mer Platz wird dem Film ein eige­ner Raum gewid­met. Seit 1997 gibt es sogar ver­schie­dene DVD Ver­sio­nen mit wie­der­her­ge­stell­ten Unter­ti­teln. Das zeigt, dass an dem Film auch heute noch Inter­esse besteht und er seine Zuschauer zu einer Zeit, in der die Film­in­dus­trie immer auf­wän­di­gere und teu­rere Pro­duk­tio­nen auf den Markt bringt, noch in den Bann zieht.

 "Das Cabi­net des Cali­gari" ist ein Mei­len­stein der Film­ge­schichte, des­sen Ursprung in Berlin-Weißensee liegt. An diese Wur­zeln gilt es zu erinnern.

Her­mann Warm (1889–1976, Film­ar­chi­tekt und Sze­nen­bild­ner) über den Film:

Wie in fast allen Fäl­len vor dem Anfang eines Films wurde mir das Dreh­buch vom Pro­duk­ti­ons­lei­ter, hier Rudolf Mei­nert, in Gegen­wart des Regis­seurs, hier Robert Wiene, übergeben.

Es folgte eine übli­che kon­ven­tio­nelle Unter­re­dung, ohne beson­dere Hin­weise, mit der Bemer­kung, mei­ner­seits Vor­schläge zu machen. Beim Lesen die­ses so anders gear­te­ten Dreh­buchs von Carl Mayer und Hans Jano­witz, des­sen bizar­rer Stil und eigene Form­ge­bung mich begeis­terte, erkannte ich, daß die­ser Stoff eine ebenso anders geformte, deko­ra­tive Aus­ge­stal­tung erhal­ten müsse. abge­wandt vom Rea­len, ganz auf phan­tas­ti­sche, rein male­ri­sche Wir­kung gestellt sein müsse. Neben­bei ergäbe sich auch die Mög­lich­keit, mei­nen bei­den Freun­den Wal­ter Rei­mann und Wal­ter Röh­rig Ein­nah­men und Beschäf­ti­gung für die Dauer des gan­zen Films zu geben.

Bis in die Nacht hin­ein lasen und dis­ku­tier­ten wir drei Maler das vor­lie­gende Dreh­buch. Rei­mann, des­sen Bil­der zu die­ser Zeit expres­sio­nis­tisch beein­flußt waren, drang mit sei­ner Ansicht durch, daß die­ser Stoff in sei­ner Form­ge­bung expres­sio­nis­tisch sein müsse. Noch in glei­cher Nacht wur­den von uns einige Skiz­zen gemacht.

Am ande­ren Tag schil­derte ich Herrn Mei­nert und Herrn Wiene kom­pri­miert das Ergeb­nis der ver­gan­ge­nen Nacht, zeigte unsere ers­ten Skiz­zen und erklärte, daß nur eine kon­se­quente Durch­füh­rung die­ses Stils, nicht nur im Deko­ra­ti­ven, der Eigen­art des Stof­fes ent­sprä­che und erst die abso­lute Wir­kung erge­ben würde. Robert Wiene erkannte sofort die große Mög­lich­keit und war sofort für die­sen Stil.
Rudolf Mei­nert, bedäch­ti­ger abwä­gend, sagte für den kom­men­den Tag sei­nen Ent­scheid zu, der dann auch posi­tiv aus­fiel und fol­gen­den Satz ent­hielt: Er wolle die Durch­füh­rung als ver­rückt bezeich­nen, bei die­ser Art müsse man blei­ben, also so ver­rückt wie nur denk­bar. Der Film würde ein Sen­sa­ti­ons­er­folg wer­den, gleich­viel ob die Presse posi­tiv oder nega­tiv ent­schei­den würde, die Kri­tik ver­nich­tend oder künst­le­risch ganz groß gehal­ten sein wird, es lohne sich das Expe­ri­ment in bei­den Fällen. 

So kam es dazu, daß der Caligari-Film in der von uns drei Malern erdach­ten Form, wenigs­tens im Deko­ra­ti­ven, das ja in die­sem Film das vor­herr­schende Moment ist, kon­se­quent durch­ge­führt wurde.

Über den Film:
"Ob nun mit Vor­be­dacht oder nicht, der ’Caligari’-Film deckte eine Situa­tion auf, in der die Seele nur zwi­schen Tyran­nei und Chaos zu wäh­len und des­halb eine ver­zwei­felte Ent­schei­dung zu tref­fen hat: denn jeder Ver­such, sich aus der Tyran­nei zu befreien, führt gera­de­wegs ins Chaos." (S. Kra­cauer: Von Cali­gari bis Hitler.)

Quellen/Verweise:
Film-Stadt Weis­sen­see. Filme, Stars, Ate­liers. Eine Recher­che von Dr. Peter Glaß. Zur Aus­stel­lung vom 25. August 1990 bis 25. Juni 1991 im Stadt­ge­schicht­li­chen Museum Berlin-Weißensee. Bezirks­amt Wei­ßen­see von Ber­lin, Kul­tur­amt, Stadt­ge­schicht­li­ches Museum.

Cali­gari heute:

Der Film von Robert Wiene, die Geschichte von Cali­gari und die Film­fi­gur selbst inspi­rie­ren die Men­schen bis heute. So gibt es nicht nur ver­schie­dene Adap­tio­nen der Geschichte in Form von wei­te­ren Fil­men, Thea­ter­stü­cken, Opern und Büchern. Auch Musik­grup­pen, kul­tu­relle Insti­tu­tio­nen und ein Preis, wel­cher im Rah­men der Ber­li­nale ver­ge­ben wird, ver­wei­sen auf die Prä­senz die­ses Filmklassikers.

Filmstadt Weißensee 

1913 – 1933: Groß­ar­tige Kulis­sen, berühmte Filme, Regis­seure und Schau­spie­ler in Weißensee

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