DIE FILMSTADT
1913 – 1933: Großartige Kulissen, berühmte Filme, Regisseure und Schauspieler
Bevor Weißensee zum Produktionsstandort verschiedener Filmfirmen wurde, hatte der Film schon durch mehrere "Kintopps" Einzug in den Bezirk erhalten. Die ganze Welt wurde durch Stars wie Henny Porten, Asta Nielsen oder die beliebten Aufnahmen von Kaiser Wilhelm II in den kleinen Vorort projiziert.
Mit der Expansion der Filmindustrie in Deutschland kam es zu Platzmangel in den kleinen Dachateliers der Berliner Innenstadt. Neue Räumlichkeiten mussten erschlossen werden, um die immer aufwendigeren Produktionen realisieren zu können. Während die Deutsche Bioskop-Gesellschaft mbH. 1911/12 ein Gelände in Nowawes – dem späteren Babelsberg – erwarb, zog es die 1907 von Jules Greenbaum gegründete Deutsche Vitascope-Gesellschaft mbH. nach Weißensee. Erschwingliche Grundstückspreise und die Nähe zum Zentrum machten diesen Vorort zu einem attraktiven Standort. Im Herbst 1913 nahm die Vitascope in der Franz-Joseph-Straße ihre Arbeit auf.
Schon vor ihrer Fusion mit der Projektions Aktien-Gesellschaft Union im Jahre 1914, kurz PAGU genannt, hatte die Vitascope einige Erfolge zu verzeichnen. Mit "Der Andere" lieferte sie im Jahre 1912 einen Film, den sowohl eine anspruchsvolle literarische Vorlage (Paul Lindau), als auch Theaterprominenz wie Albert Bassermann in der Hauptrolle, auszeichnete. Für das relativ neue Medium Film war es in diesen Jahren außerordentlich wichtig, sich als anspruchsvolles Unterhaltungsangebot zu etablieren, das auch das Bildungsbürgertum ansprach. Dies gelang der Vitascope mit Max Macks "Der Andere", wobei die Filmfirma auch mit weniger künstlerisch ambitionierten Produktionen kommerzielle Erfolge erzielte.
Der erste Weltkrieg brachte für die gesamte Filmindustrie Veränderungen mit sich. Einerseits waren Koproduktionen mit erfolgreichen ausländischen Filmfirmen wie die französischen Pathe-Freres nun ausgeschlossen, andererseits stieg die deutsche Produktion aufgrund der gleichzeitigen Konkurrenzlosigkeit auf dem eigenen Filmbildermarkt an.
Die Greenbaum-Film GmbH, die aus der früheren Vitascope nach ihrer Trennung von der PAGU hervorgegangen war, drehte in den Kriegsjahren mehr Filme als jemals zuvor, darunter waren auch berühmte Reihen wie "Der Hund von Baskerville" (Regie: R.Meinert) oder die Detektiv-Reihe "Engelbert Fox".
Auch andere Firmen zog es nach Weißensee. Im Sommer 1914 richtete sich die Continental ebenfalls in der Franz-Joseph Straße ein, deren Ateliers aber schon ein Jahr später von der Stuart-Webbs Filmcompany Reicher & Reicher übernommen wurden. Der ehemalige Continental-Mitarbeiter J.May gründete eine eigene Firma und begann in Konkurrenz zu der Serie mit Stuart Webbs Detektivgeschichten mit Joe Deebs zu drehen. Nach und nach entwickelte sich der Filmstandort Weißensee zum Zentrum des Genres Detektivfilm. Vielleicht war es die eindeutige Unterscheidung zwischen Gut und Böse und die Gerechtigkeit, die zum Schluß immer siegte, die zu der Beliebtheit dieses Genres in den chaotischen Kriegsjahren führte.
Nach Ende des Krieges dominierte das Illusionskino, das Geschichten aus längst vergangenen Zeiten oder an exotischen Schauplätzen zeigte. In Weißensee entstanden riesige Kulissenwelten wie z.B. der Circus Maximus für die aufwendige Filmtrilogie "Veritas vincit" von Max Mack.
Neben den ambitionierten Projekten der UFA, entstanden weiterhin auch zahlreiche Filme, die z.T. heute noch als Klassiker bekannt sind. Die OHG Decla- Filmgesellschaft Holz & Co, die es mittlerweile auch in die Franz-Joseph-Straße verschlagen hatte, war ebenfalls darauf aus, die Grenzen des Films zu erweitern. Der Produzent Erich Pommer vermochte es, die renommiertesten Filmschaffenden für die Decla zu gewinnen, so kam es auch, dass Fritz Lang 1919 hier seinen ersten Film "Halbblut" drehte. Eigentlich war er als Regisseur für die Verfilmung "Das Cabinet des Dr.Caligari" vorgesehen, eine Aufgabe, die jedoch schließlich von seinem Kollegen Robert Wiene übernommen wurde. Dieser außergewöhnliche Film sprengte tatsächlich aufgrund seines künstlerischen Anspruchs und der, wenn auch in der Endfassung versteckten sozialpolitischen Anspielungen, die damaligen Konventionen.
In den Zwanzigern entstanden immer aufwendigere Produktionen, die immer wieder zum Bau von großartigen Kulissen führten, die mittlerweile das Bild von Weißensee prägten. Für "Die Pest in Florenz" verwandelte sich das Grundstück der Decla in der Franz-Joseph-Straße 9 in den Marktplatz von Florenz, während die May-Film-Ateliers für "Das indische Grabmahl" Tempel, Paläste und tropische Gärten errichten ließen.
Nachdem die Jahre der Inflation einen finanziellen Aufschwung für die meisten Firmen bedeutet hatten, schrumpfte das Kapital der Filmschaffenden nach der Umstellung auf die Goldmark erheblich. Von 1921 bis 1922 verzeichnete die Filmproduktion deshalb einen Rückgang von 65 %. Konkurse, Pleiten und Zusammenlegungen wurden zum Alltag in der Filmbranche.
Die Jahre 1928/ 29 stellten eine Zäsur für die gesamte deutsche Filmproduktion dar, was natürlich auch starken Einfluss auf den Standort Weißensee hatte. Die Weltwirtschaftskrise, soziale Kämpfe und Arbeitslosigkeit bestimmten das Lebensgefühl dieser Jahre bis zum Ende der Weimarer Republik.
Nach 1933 kam der tragische Umstand hinzu, dass viele Regisseure, Schauspieler und Autoren verlassen mussten oder wollten. Viele von ihnen blieben weiterhin in London, Paris oder Hollywood im Filmgeschäft erfolgreich. Obwohl die Filmproduktion in Weißensee angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Umstände ein schnelles Ende nahm, entstanden hier jedoch viele der wichtigsten Werke des frühen deutschen Kinos, die auch heute noch nicht in Vergessenheit geraten sind.